By Published On: 16. Januar 2023Categories: MAERA InsightsTags: , , 3,6 min read

„Ja, ich verstehe schon. Wir brauchen das. Und ich finde das ja auch gut, dass die Mitarbeitenden mehr Freiheiten bekommen, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Aber –“ 

ABER …

Ja, dieses „aber“ begegnet mir häufiger, wenn ich in ein Unternehmen komme, das sich an das agile Experiment wagt. Ein „Aber“, bei dem dann ein Geschäftsführer zum Beispiel durchscheinen lässt, dass es schon gut wäre, auch ein wenig auf die Regeln zu achten, damit diese ganze Agilität nicht außer Rand und Band gerät.

Ein „Aber“, hinter dem die größte Angst steckt, welche das agile Experiment bei eher traditionell aufgestellten Unternehmen, vielleicht auch in deinem Unternehmen, auslöst: die Angst vor dem Kontrollverlust. Eine Angst, die durch ein großes Missverständnis, was denn Agilität überhaupt sei, noch geschürt wird.

Agilität und Misstrauen

Ein Problem, das bei der Einführung von Agilität oft zum Vorschein kommt, ist ein gewisses Misstrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitenden. Der Gedanke oder das tief in der DNA eines Unternehmens eingepflanzte Gefühl, dass Menschen nur dann gut arbeiten, wenn sie in einem Umfeld agieren, dass ihnen Regeln vorgibt.

Auch wenn sich in vielen Unternehmen die Einsicht durchsetzt, dass Regeln die notwendige Veränderungsfähigkeit blockieren, ist das Misstrauen in ein agileres Vorgehen dennoch immer noch groß. Weil den Menschen und weil der Agilität nicht vertraut wird.

Beides benötigst du aber, um die Veränderungen in die Wege zu leiten, die dein Unternehmen braucht. Ohne Vertrauen bleiben alle Versuche der Veränderung am Boden, kommen nicht zum Fliegen. Misstrauen ist ein mächtiger Ballast. Zudem sorgt auch noch ein gängiges Missverständnis von Agilität dafür, dass du nicht durchstarten kannst.

Agilität – ein Missverständnis

Ein häufiges Missverständnis ist, dass Agilität eine Art wildes Vor-sich-hin-arbeiten sei. Ein Setting, in dem es keine Regeln gibt. 

Aus der Perspektive des guten, alten, soliden Projektmanagements erscheint das agile Experiment chaotisch. Agile Teams haben etwas Kommunemäßiges an sich: Alle reden miteinander, alle haben sich lieb, und alles kann ausprobiert werden. Alles kann, nichts muss. Was für eine Freiheit! Und wenn dann auch noch das Misstrauen in das eigene Team dazukommt …

Klar, dass ein solches Verständnis der Agilität die Angst vor dem Kontrollverlust schürt, die Angst davor, dass dir deine ganze Mitarbeiterschaft aus dem Ruder läuft. Und es deswegen so wichtig erscheint, das Wilde, Regellose einzuhegen.

Aber Agilität ist anders. Es bedeutet eben nicht Kontrollverlust oder dass alle tanzend durch den Wald springen.

Agilität zum Fliegen bringen

Agile Frameworks haben zwar nicht viele Regeln, aber diese sind strikt: Zum Beispiel in der agilen Softwareentwicklung: Die Dauer der Kadenzen ist geregelt, die Länge der Sprints. Neben der Zeitspanne, die fix ist, ist auch fix, was in der Zeit gemacht wird. Läuft ein Sprint, dann gibt es keine Störung von außen, auch nicht vom Chef. Nichts also mit wildem Hin- und Hergespringe.

Wenn ich von einem agilen Experiment spreche, dann bin ich nah an dem, was ich als Physiker als Experiment verstehe: eine sehr kontrollierte Art und Weise, zu Ergebnissen zu kommen. Ein strukturierter und geregelter Vorgang, Hypothesen zu überprüfen und zu lernen.

Bei der Agilität gehen Regeln und Freiheit Hand in Hand. Ein Setting, das meiner Leidenschaft des Segelfliegens gleicht: Klar, gehorcht mein Flug Regeln. Da ist die Physik, die mich überhaupt starten lässt, die mich in der Luft hält. Da sind die Regeln, an die ich mich als Pilot halten muss, um nicht den Luftraum zu gefährden. Aber gleichzeitig bin ich auch von einem Gefühl der Freiheit erfüllt, wenn ich im Aufwind dahingleite. Und so sehe ich das agile Experiment auch: Deine Leute brauchen beides. Die Freiheit zu agieren, sich selbst die Wege zu suchen, die fürs Unternehmen gut sind. Und dann eben auch die sie unterstützenden Regeln eines agilen Vorgehens, die ihnen helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen.

Agilität ist die Fähigkeit zur Veränderung, aber nicht die Freiheit, jederzeit nach Belieben alles zu verändern. Das zu verstehen, ist auf jeden Fall etwas, was du tun kannst, um dein Unternehmen zum Fliegen zu bringen.