„Ich hab’ mich mal noch ein bisschen schlauer gemacht, was diese agilen Methoden angeht, Christian. Was es da alles gibt!“ Peter war total hingerissen. „Scrum, Kanban, Design Thinking … Was man damit alles machen und erreichen kann! Was meinst du: Wie können wir diese Sachen hier bei uns im Unternehmen einsetzen?“
Ich saß bei Peter im Büro, freute mich ehrlich über seine Begeisterung für agile Methoden, über sein Engagement, darüber, dass er sein Unternehmen weiterbringen wollte. Aber eigentlich dachte ich die ganze Zeit nur: „Oje …!“
Ein Change-Projekt wie aus dem agilen Bilderbuch
Peter ist Director IT, das Unternehmen lief gut, es wuchs, die Produkte kamen auf dem Markt gut an. Aber in letzter Zeit hatten sie Probleme. Das Unternehmen war gewachsen, ohne dass die Strukturen mitgewachsen waren. Und jetzt hakte und knirschte es an allen Ecken und Kanten. Vor allem dauerte es inzwischen immer wieder viel zu lang von der Produktide oder einer Anpassung bis zur Marktreife. Deadlines wurden vereinbart – aber dann nicht eingehalten. Auch die Qualität der Software war nicht mehr so, wie die Kunden es bis dahin gewohnt waren. Die Kunden wurden zunehmend unzufrieden und Peter wusste: So kann es nicht weitergehen.
Und er tat das einzig Richtige: Er startete ein Change-Projekt, holte sich durch uns Unterstützung. Ziel: Die internen Abläufe und Prozesse vereinfachen und vor allem die „Time to Market“ verkürzen ohne Qualitätseinbußen in den Produkten. Mit seinen Worten: Wir müssen agiler und schneller werden. Und das lief auch richtig gut: Schritt für Schritt gingen wir zusammen die Probleme in der Produktentwicklung und Organisation an und fanden auf das Unternehmen zugeschnittene Lösungen. Es ging gut voran. Es tat sich was. Die Erfolge waren unübersehbar. Aus meiner Sicht ein richtiges Bilderbuch-Projekt.
Kauf keinen Bagger, wenn du nur eine Schaufel brauchst!
Und das war ja auch der Grund für Peters Begeisterung. Er war zum ersten Mal mit agilen Methoden in Berührung gekommen und fasziniert davon, wie er seine Probleme im Unternehmen damit erfolgreich angehen konnte. Verständlich, dass er mehr davon wollte.
Und das war der Punkt, an dem ich dachte: ‚Ich muss ihn jetzt dringend bremsen.‘
„Peter,“ sagte ich, „stell dir vor, du gehst auf die Hannover-Messe, weil du einen Bagger brauchst, mit dem du Gräben ausheben willst. Und da siehst du einen fantastischen Bagger mit vier Armen und tausend Einsatzmöglichkeiten. Du bist begeistert, zu Recht. Aber wozu nutzt dir dieses Wunderwerk von Bagger? Genau, zu gar nichts. Denn deiner braucht nur einen Arm, mit dem er Gräben ausheben kann. Und vielleicht reicht dir sogar eine Schaufel.“
Ich erlebe diese Begeisterung für agile Methoden oft. Aber viel zu oft werden sie als Selbstzweck missverstanden. Du siehst, wie sie dir bei deinem Problem weiterhelfen, du siehst, was alles möglich ist, du siehst, wie erfolgreich andere Unternehmen bestimmte Methoden angewendet haben. Und du fragst dich: ‚Wo in meinem Unternehmen kann ich alle diese tollen Methoden einsetzen?‘
Und dann sage ich oft: „Lass das mal!“ Tatsächlich musst du dir die Frage genau andersherum stellen, damit ein Schuh draus wird. ‚Vor welcher Herausforderung steht mein Unternehmen gerade? Wo drückt der Schuh zur Zeit am meisten? Welches Problem muss ich gerade angehen? Welche Chance möchte ich gerade ergreifen?’ Und dann erst schaust du, welche agilen Methoden dir dabei helfen könnten.
Und vor allen Dingen: Da, wo es läuft in deinem Unternehmen, da lass die Leute ungestört ihre Arbeit tun!
Christian Hahlen