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Führungskräfte im agilen Umfeld brauchen vor allem eins – die Bereitschaft Verantwortung neu zu verteilen. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter mit Vertrauen, Geduld und den nötigen Rahmenbedingungen selbständig arbeiten können. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören Fehlerkultur, Räume für Wissensaustausch und kontinuierliches Lernen. Aber auch ein festgesetzter unternehmerischer Rahmen, mit Fokus und klaren Zielsetzungen, in dem die Mitarbeiter frei agieren können.

Warum ist agiles Arbeiten so gefragt?

Die heutige Arbeitswelt wird zunehmend komplexer und ist von stetiger Veränderung geprägt. Beispielsweise eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten für Geschäftsmodelle, Arbeitnehmende stellen neue Anforderungen an ihre Arbeit (flexible Arbeitszeiten, Selbstorganisation, Sinnerfüllung etc.). Zudem erzeugt hoher Wettbewerb Innovationsdruck. Nicht zuletzt üben veränderte Kundenanforderungen einen hohen Druck auf Unternehmen aus.
Um mit dieser Schnelllebigkeit mithalten zu können, bietet sich der Einsatz agiler Methoden und Arbeitsweisen an. Agil zu arbeiten hat deutliche Vorteile gegenüber klassisch hierarchischer Arbeit. Projekte können schneller starten und Mitarbeitende haben einen direkten Einfluss darauf, wie gearbeitet wird. Die Arbeit ist effektiver, flexibler und bringt schnelle Ergebnisse. Da bei agiler Arbeit ein regelmäßiger Rückblick auf die bereits geleistete Arbeit unerlässlich ist, werden Fehler früh erkannt und die Arbeit effizienter.

Selbstorganisation als Erfolgsfaktor für agiles Arbeiten

Was bedeutet dies für Mitarbeitende? Egal ob nun Scrum, Kanban, Design Thinking oder SAFe zum Einsatz kommen, effizient sind diese agilen Frameworks nur dann, wenn die Teams selbstorganisiert arbeiten können.

Was bedeutet Selbstorganisation?

Ein Team arbeitet dann selbstorganisiert, wenn es selbst festlegen kann, welcher Weg zum vorgegebenen Ziel führt. Dabei bildet sich Innerhalb des Teams eine eigene Ordnung, ein eigenes System aus. Jedes Teammitglied bringt sich entsprechend seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten ein, um dem Ziel gemeinsam einen Schritt näher zu kommen. Das agile Team erarbeitet also selbstorganisiert eine Lösung für Ihre Zielsetzung.
Damit Selbstorganisation gelingt, müssen Führungskräfte im agilen Umfeld die 5 Faktoren der Selbstorganisation fordern, fördern, transparent machen und bei deren Umsetzung unterstützen.

Die 5 Faktoren der Selbstorganisation:

Flexibilität

Unternehmen und alle Mitarbeiter müssen flexibel sein können. Sie müssen schnell auf sich ändernde Anforderungen auf verschiedenen Ebenen (Kundenfeedback, Märkte, Disruption) reagieren können. Stetige Verbesserung und Weiterentwicklung der Dienstleistungen oder Produkte bis hin zum Geschäftsmodell kann nur in flexibel gehaltenen Systemen erfolgreich sein.

Kreativität

Neue Ideen und innovative Lösungsansätze sind in diesem Kontext essentiell. Die Entwicklung guter Ideen benötigt viele Köpfe sowie unterschiedliche Sichtweisen und Expertisen. In einem Kontext, der sich nur schwer in seiner Komplexität erfassen lässt, ist es unglaublich wertvoll, die Prämisse “Think outside the Box” ernst zu nehmen.

Wissensarbeit

In vielen Unternehmen ist Wissen die Quelle der Wertschöpfung. Menschen, die komplexe Probleme lösen, sind Wissensarbeiter. Wissensarbeit lässt sich nicht linear organisieren, sondern braucht Raum zum Wissensaufbau und -austausch. Die Organisation muss allen Mitarbeitern das kontinuierliche Lernen ermöglichen.

Produktivität

Durch die klare Ausrichtung an einer Vision bzw. Zielen sorgt agiles Projektmanagement für Fokus und Wertorientierung. Das Erreichen von Zielen und das Verfolgen der gemeinsamen Vision gelingt besser, wenn alle Akteure eingebunden sind und selbst mitbestimmen können, wie Ziele erreicht werden.

Intrinsische Motivation

Die Voraussetzung für erfolgreiches und kreatives Arbeiten ist eine starke innere Motivation. Es geht darum aus einem inneren Anreiz heraus zu handeln und eine Tätigkeit zu verfolgen. Aufgaben, die ein hohes Maß an Kreativität erfordern, gelingen mit einer starken intrinsischen Motivation besser als durch eine “von außen einwirkende”, extrinsische Motivation (Vgl. Gabler, 2018). Es ist wissenschaftlich belegt, dass extrinsische Motivatoren wie beispielsweise Boni einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben, wenn die Aufgabe Kreativität erfordert (Vgl. Daniel H. Pink, 2009).

Braucht Agilität dann eigentlich noch Führung?

Ja, Agilität oder besser gesagt, Selbstorganisation braucht eine neue Art von agiler Führung und der Bereitschaft aller, Verantwortung neu zu verteilen. Das stellt an Führungskräfte hohe Ansprüche. Sie brauchen eine neue Denk- und Handlungslogik, die richtungsweisend und unterstützend das agile Team in den Mittelpunkt stellt und durch Vertrauen und Rückhalt Selbstorganisation möglich macht.
Agile Führung, also agile Leadership, ist in diesem Sinne als „Servant Leadership“ zu verstehen. Dies bedeutet einen Abschied vom bisherigen hierarchischen „command & control“. Mitarbeitende müssen in ihrer neuen und vielleicht ungewohnten Verantwortung unterstützt und begleitet werden und neue Werte vorgelebt bekommen. Dies erfordert agile Führungsmethoden, die beratend, moderierend und coachend sind. Nur so werden Lernprozesse angeregt und Weiterentwicklung ermöglicht.

Wie gelingt agile Leadership?

Agile Führung im Kontext der Selbstorganisation unterscheidet sich von klassisch hierarchischer Führung. Bei agile Leadership geht es nicht darum Macht oder Verantwortung in einer Führungsrolle zu konzentrieren, und Mitarbeitende mittels extrinsischer Faktoren (vgl. Management-by-Objectives) zu motivieren. Es geht vielmehr darum, die eigenen Mitarbeitenden, sowohl individuell als auch als Team, dazu zu befähigen, mehr Verantwortung zu übernehmen und kompetent, qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Damit dieser evolutionäre Prozess vom klassischen „command & control“ hin zum „servant leading“ für selbstorganisierte Teams erfolgreich sein kann, müssen folgende fünf Grundvoraussetzungen im Denken und Handeln verankert sein:

Sinnstiftung geben

Eine klare Vision und Zielvorstellungen – sowohl für das Unternehmen, als auch für die entsprechende Abteilungen, sind die Grundvoraussetzung für selbstorganisiertes Arbeiten. Sie ermöglichen den Mitarbeitenden, einen klaren Auftrag für sich abzuleiten und ihre Arbeit danach auszurichten.

Rahmenbedingungen schaffen

Wichtig für selbstorganisiertes Arbeiten ist, dass sowohl die durch die agile Führungskräfte geschaffene Infrastruktur als auch die strukturellen Organisationsformen dazu geeignet sind, Kollaboration zu ermöglichen und zu fördern.

Unternehmenskultur etablieren

Selbstorganisation braucht eine Fehlerkultur. Fehler ermöglichen es aus Ihnen zu lernen und sich selbst zu optimieren. Dabei spielen gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung eine große Rolle. In einem von der Führungskraft vorgelebten Umfeld aus Vertrauen, Wertschätzung und Freiwilligkeit entsteht eine neue Unternehmenskultur.

Feedback geben

Konstruktives und wertschätzendes Feedback schafft die Basis dafür, mehr Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen in die eigene Fähigkeit zu entwickeln.

Transparenz schaffen

Transparenz ist das A und O agiler Arbeitsweisen. Sie sind nicht nur selbst transparent, sie brauchen auch ein vertrauensvolles Umfeld indem Transparenz gelebt wird, um effizient zu sein.

Was müssen agile Führungskräfte beachten?

Agile Leadership erfordert Fingerspitzengefühl. So gilt es zu beachten, aus welchem arbeitskulturellen Umfeld die einzelnen Mitarbeiter stammen, wer bereits welche Verantwortung trägt und welches Wissen vorhanden ist. Eine moderne Führungskraft mit agilem Mindset muss also Lernanreize schaffen und die Bereitschaft fördern, anders zu arbeiten als bisher und dabei selber lernen Macht und Verantwortung schrittweise loszulassen.

Die wichtigste Voraussetzung für ein Gelingen dieses Umdenkens ist Vertrauen. Vertrauen sowohl in die Kompetenz der Mitarbeiter, als auch Vertrauen in die eigene Selbstführungskompetenz. Und, wie jeder evolutionäre Prozess, erfordert auch die Etablierung gut funktionierender Selbstorganisation Zeit und Geduld aller Beteiligten. Hierbei fungieren Vertrauen und Wertschätzung und generell eine Orientierung an den Werten des Scrum-Frameworks als Prozessbeschleuniger. Zweifel und Misstrauen verlangsamen die Entwicklung von Selbstorganisation.

Führung im agilen Kontext ist anspruchsvoll und stellt eine Herausforderung, insbesondere im Verlassen einer autoritären Positionsmacht und Vollverantwortung dar. Sie ist aber auch vielfältiger, menschlicher und dynamischer. Ziel der agilen Führungskraft ist also, durch Vertrauen und Freiräume gegenüber der Mitarbeitenden eine selbstverwaltete Zusammenarbeit zu ermöglichen. Dadurch wird den agilen Teams ermöglicht, selbst kreative Problemlösungen zu finden. Visionärer Antrieb für agile Führung sollte also sein, sich, durch ideales Befähigen der Mitarbeiter, Beseitigen von Hindernissen, Vorleben von Werten und agilem Mindset, selbst überflüssig zu machen.
Das bedeutet, dass der immer wieder angesprochene und wichtige agile Perspektivwechsel auch das Verständnis von Führung umfasst. Es geht nicht länger um eine „Ohne mich geht gar nichts!“-Haltung, sondern vielmehr um das Selbstverständnis: „Ich habe geschafft, dass es ohne mich läuft!“.